In dem Moment, als der Sachverständige für Schiffe Teut Junker seine Taschenlampe schräg auf das Unterschiff der Scarlett leuchten ließ und anschließend auf sehr vereinzelte kleine Erhebungen zeigte, eine davon mit dem Daumen seines Fingernagels öffnete und eine essigartig riechende Flüssigkeit austrat, zweifelte ich an der Sinnhaftigkeit soviele €uro für eine 34 Fuß Segelyacht Baujahr 1996 auszugeben.
Es war ein kalter, regnerische mit Schneeschauern und einzelnen Sonnenstrahlen durchzogene Märztag auf dem Gelände des Segelclubs Oberspree (SCO) in Berlin. Viele der Vereinsboote standen aufgebockt und warteten mit glänzenden Antifoulinglackierungen auf Ihren Krantermin für die neue Saison. Das Wannseebad und die Pfaueninsel leuchteten gerade im Sonnenlicht. Sie hofften auf ein Wiedererwachen und auf ein Ende des Corona-look-downs.
Es war schon mein 2. Besuch innerhalb von 2 Wochen auf dem von großen Bäumen überwachsenen Vereinsgeländes. Mein Gastgeber und stolzer und langjähriger Besitzer der Segelyacht war Detlef, ein Segelsportler durch und durch. Sozial sehr engagiert hatte sich der 80-jährige Rentner und Vorsitzende des SCO Berlin in den letzten Jahren mehr um die Vereinsführung und den Neubau eines vornehmen Segelheims gekümmert, als selbst mit seinem Schiff auf Reisen zu gehen. Mit solch einer Aufgabe betreut, fehlt selbst einem Rentner ausreichend Segelfreizeit.
Meine Reise nach Berlin hatte, abgesehen von der ICE Reise von Mannheim nach Berlin in 6 Stunden, am Ende 60 Jahre gedauert. Segel- und surfbegeistert war ich schon immer. Das Wasser war mein Element. Schule, Studium, Beruf und Familie und Wohnort ließen den Traum von Meer, Wind und Freiheit auf wenige Wochen im Jahr schrumpfen. Dennoch waren Segeltörns mit Freunden gelegentlich möglich. Aber der Wunsch, eines Tages Eigner einer großen Segelyacht zu sein, blieb ein Traum. Zumindest solange bis die Erkenntnis kam: Jetzt oder nie! Die biologische Uhr tickt bekanntlich unaufhaltsam.
Ich hatte eine bescheidene Eignererfahrung bereits gemacht: Eigenes Surfbrett, kleine Segeljolle, alter gebrauchter Kleinkreuzer für schöne See- und Badetage, bei Bedarf mit Übernachtung auf dem Boot am wohnortnahen Bostalsee. Dazu habe ich meine Familie oft mitgenommen. Meinen Jungs habe ich das Segeln beigebracht und meine Frau habe ich für das Leben auf dem Wasser zumindest entängstigt, vielleicht auch begeistert; wenigstens ab und zu.
Während ich den Essiggeruch auf Teut Junkers Finger wahrnahm, verwandelte sich diese 34 Fuß Schönheit vor meinen Augen in eine osmoselöchrige GFK -Schüssel. "Es gibt keine Boote, die so alt sind und nicht wenigstens ein bisschen Osmose zeigen. Das ist normal und in diesem Fall ist das vermutlich überhaupt nicht tragisch. Ich wollte das nur zeigen, damit Sie wissen, dass gelegentlich das Unterwasserschiff neu aufgebaut werden sollte", sagte Teut. "Aber Genaues kann man nur sagen, wenn man Probebohrungen vornimmt". Mein Verkäufer Detlef signalisierte eine klare Abwehrhaltung und positionierte sich entschieden gegen diese zerstörerische Diagnostik. Ich wollte auch nicht soweit gehen.
Die eigene Segelyacht ist ein Kompromiss. Viele Fragen sind zu klären: Sollte sie gerade so groß sein, dass sie trailerbar ist? Es ist eine verlockende Idee mit dem Boot auf einem Trailer schnelle Revierwechsel vorzunehmen. Wenn sie nicht trailerbar ist, soll sie dann am Mittelmeer, am Ijsellmeer, an einem großen See oder an der Ostsee liegen? Wie groß soll sie sein? Ist es realistisch, dass ich immer eine Crew beherberge oder mindestens einen Segelpartner bei mir habe, die/der mir beim Segeln hilft? Oder sollte ich die Yacht mangels Mitsegler auch alleine segeln können? Und was bin ich bereit zu investieren, an Anreisezeit zum Liegeplatz, an Segelzeiten, an Kosten für den Kauf, die Unterhaltung und die Instanthaltung der Yacht. Und letztlich, welche Segeleigenschaften soll die Jacht haben und wie soll die Ausstattung der Jacht aussehen? Kompromisslos sportlich, gediegenes Segeln, neu, neuwertig, gebraucht, modern oder traditionell schiffig mit Teak und Mahagonie.
Ich hatte genug Zeit, mir diese Fragen zu beantworten. Annoncen von Yachten durchzuschauen, einfach so, ohne unmittelbare Kaufabsicht, hat Suchtpotenzial. Es offenbart aber eine Vielzahl an Optionen. Die Besuche auf der Boot in Düsseldorf hatte ich zum Träumen genossen und ich hatte reichlich "Yacht"- Zeitschriften verschlungen. Selbst die Einladung zu einem Probetörn auf einer schönen trailerbaren Yacht in der Kieler Förde 2020 hatte ich angenommen. Und ich hatte auch ein hilfreiches Kaufseminar über die "Yacht" absolviert. Aber wie mein Kompromiss aussehen sollte, da war ich noch nicht festgelegt. Und dann kam diese Anzeige: HR34, BJ 1996, Tiefgang 185 cm, mit Radsteuerung, gepflegt, Standort Berlin.
Wir sahen uns das ganze Boot an, natürlich auch von innen. Detlef hatte die Dieselheizung angemacht, sie lief tadellos und das Gebläse führte warme Luft ins Bootsinnere. Meinen kalten Fingern tat das gut. Im Boot war ich schon aus Platzgründen alleine mit meinem Gutachter Teut. Nachdem alle Polster gehoben, die Schapps und Schubladen geöffnet, alle Luken inspiziert und der Motorraum und die Bilge untersucht waren, fragte ich Teut nach seiner Einschätzung, vorbehaltlich der Rigg- und Segelqualität, die noch in Augenschein zu nehmen waren. Detlef wollte von mir heute eine Entscheidung. Ich merkte, dass Teut ebenso wie ich von der gepflegten Wohnlichkeit und der schiffigen, qualitativ hochwertigen Einrichtung des Bootes beeindruckt war. Er fasste seinen gutachterlichen Rat kurz: "Kaufen !"